Mit scharfer Kritik hat Franz Müntefering auf die massiven Steuersenkungsversprechen Angela Merkels reagiert. Dies sei nur zu Lasten von Sozialstaat, Bildung und Infrastruktur machbar und wäre unsozial in seiner Wirkung. Merkel "sollte sich ehrlich machen - und zwar bald".

Im Interview mit der Rheinischen Post (Donnerstagsausgabe) warb der SPD-Vorsitzende dafür, die objektive Situation ehrlich zu bewerten: "Nicht Wolke sieben, sondern pragmatisches Handeln zu sittlichen Zwecken, wie es Helmut Schmidt genannt hat."

Keinen Zweifel lässt Müntefering daran, dass die von der CSU in die Diskussion gebrachte Steuerreform mit 20 bis 30 Milliarden Euro Entlastung nicht diesem Grundsatz entspricht: "All jene, die schnelle gewaltige Steuersenkungen vorschlagen, sind Blender oder Marktradikale, die oben die Steuern senken wollen zu Lasten von Sozialstaat, Bildung, Infrastruktur. Das wäre unsozial in seiner Wirkung." Angela Merkel müsse klar sagen, dass dies nicht umsetzbar ist. "Sie sollte sich bald ehrlich machen - und zwar bald", forderte der SPD-Vorsitzende.

Müntefering warnte auch davor, verantwortungsbewusste Regierungsarbeit und Wahlkampf als Widerspruch zu begreifen. Zur Demokratie gehöre der Streit um den richtigen Weg - auch durch Zuspitzungen. "Wenn die Kanzlerin das Mätzchen nennt, hat sie ein seltsames Verständnis von Demokratie - oder keine Vorstellung, wie sie die Zukunft gestalten will, wofür sie streiten und kämpfen will."

Europa ist nicht nur Wettbewerb
Mit Blick auf die Europawahl verwies Müntefering auf die gemeinsame Linie von SPD und DGB für eine soziale Fortschrittsklausel, nach der jede Richtlinie überprüft werden müsse: "Europa ist nicht nur Wettbewerb. Es muss ein soziales Europa sein." Die SPD stehe für soziale Gesellschaft, den Sozialstaat, die Sozialpartnerschaft, starke Mitbestimmung und den Schutz der Arbeitnehmer. "Gescheitert", stellt der SPD-Vorsitzende fest, "ist der Kapitalismus pur".